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Let's talk about brain drain

Let’s talk about brain drain – Warum der Brain Drain auf die Tagesordnung gehört

Von Jörg Kleis

Fehlende Staatsstrukturen, schlechte Regierungsführung, politische Instabilität, mangelnde Diversifizierung der Wirtschaft, Ressourcenabhängigkeit, Gewinnabschöpfung der Eliten, Energiearmut, Korruption – die Liste an Gründen für die Unterentwicklung Afrikas ist schier endlos, jedenfalls wenn man Analysten fragt. Manche werden zweihundert Jahre in der Geschichte zurückgehen, während andere über Beispiele für Kapitalflucht sinnieren werden. Das ist freilich der Perspektive jedes einzelnen Experten geschuldet und insofern keine Überraschung. Überraschend ist vielmehr, dass die Abwanderung von Fachkräften, der sogenannte Brain Drain, fast nie oder nur beiläufig zur Sprache kommt.

Der Brain Drain ist kein ausschließlich afrikanisches Problem

Sprecher der Royal Society of London sollen den Begriff „brain drain“ erstmals in den frühen 1950er Jahren geprägt haben, um den Abfluss von Wissenschaftlern in die USA und Kanada zu beschreiben. Bis heute wird der Begriff verwendet, wenn es darum geht, dass ein Land durch Migration seine am besten ausgebildeten und talentiertesten Menschen an andere Länder verliert. Die Geschichten hinter diesem sozialen Phänomen sind so vielfältig wie die Biographien der betroffenen Menschen selbst, ihre Motivation und Ziele. In jedem Fall ist die Abwanderung von Fachkräften ein globales und nicht ausschließlich afrikanisches Thema.

Gift für offene Gesellschaften und weniger entwickelte Länder

Beim Brain drain geht es nicht nur um die sozialen Auswirkungen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die daraus resultieren, dass gebildete Menschen ein Land verlassen. Vielmehr geht es darum, dass sie weggehen und vergleichbare Köpfe nicht an ihre Stelle treten. Aus diesem Grund ist die Abwanderung von Wissenschaftlern, Ärzten oder Ingenieuren toxisch, gerade für Gesellschaften, die allgemein als offene Gesellschaften und als weniger entwickelte Volkswirtschaften bezeichnet werden.

Jedes Land kann nur ein gewisses Maß an Braindrain ertragen, bis es sich in einem Teufelskreis wiederfindet: Je mehr Menschen das Land verlassen, desto geringer die Entwicklung der Gesellschaft. Je weniger Entwicklung, desto mehr Menschen werden gehen – und je schwächer ein Land, desto eher. Der Brain Drain fehlt also gerade wegen seiner Gravitation zu Unrecht bei den Analystenmeinungen. Wenn er nicht angegangen wird, verwandelt sich der Teufelskreis in eine Abwärtsspirale, die jede Gesellschaft zurück zum Boden zieht und dort festhält.

Brain Circulation sollte unser oberstes Ziel sein

Mehr als zwei Generationen nach dem afrikanischen Jahr 1960 befinden wir uns in einer Zeit, in der die Zukunftsfähigkeit von Gesellschaften mehr denn je von aufgeschlossenen Menschen geprägt wird. Doch selbst wenn man die Abwanderung, etwa von Wissenschaftlern, rückgängig machen kann, ist dies nicht der Weisheit letzter Schluss. Migration, ihre andauernden Zyklen, der Wettbewerb von Standorten sind nicht statisch, weder zeitlich noch geographisch. Das in Bewegung setzen von Menschen, die Freizügigkeit von Personen, die Initiative zum Standortwechsel – all dies gehört zu den ältesten und inhärentesten Eigenschaften des Menschen. Deshalb sollte eine ununterbrochene Zirkulation unser oberstes Ziel sein. Die Wahl zu haben, wohin man geht, in der Lage zu sein, bewusst eine Entscheidung zugunsten eines Standortwechsels zu treffen und dabei sogar mögliche Optionen gegeneinander abzuwägen – dies würde die Vereinbarkeit von individueller Freiheit und unseren universalen Merkmalen als Menschen entsprechen. Es ist gewiss bereits heute eines der größten Themen des 21. Jahrhunderts.

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