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Should I stay or should I go? Gedanken zu Fragen der globalen Migration

Wir haben AfricaWorks nie als politische Firma gesehen. Die Vermittlung von Personal und unsere Coachings sind schlicht unsere Methoden, um Afrika und Europa näher zusammenzubringen. Die Absicht dahinter beruht auf dem Gedanken des Austauschs und Kennenlernens am Arbeitsplatz, wo wir die meiste Zeit unseres Lebens verbringen. Wir vermitteln Menschen aus Europa nach Afrika und wir holen Menschen aus Afrika nach Europa. Manchmal sind die Dinge einfach einfach.

Und manchmal sind sie es nicht. Wir sind uns bewusst, dass wir in politischen Zeiten leben und in dem politisch relevanten Feld globaler Arbeit, Freizügigkeit, Entwicklung und Migration operieren. Es war eine der ersten Einsichten, die wir zu Beginn unserer Gründung hatten.

Die Fragen “Bleiben oder Zurückkehren?” sind permanente Begleiter unserer Arbeit

Wenn man im Recruiting, Coaching und HR-Bereich in einem interkontinentalen Kontext arbeitet, lernt man die Ökosysteme Afrikas und Europas, aber vor allem die Geschichten seiner Kandidaten unweigerlich kennen. Ich erinnere mich kaum an ein Interview, einen Workshop oder eine Vermittlung, die nicht persönlich konnotiert, ja sogar tendenziell emotional, war. Alle haben eine Geschichte zu erzählen, kommen von einem ganz bestimmten Ort mit einem bestimmten Hintergrund und wollen andere Orte erreichen. Manchmal sind das Orte wirtschaftlicher Stabilität, vertrauten Miteinanders oder gänzlich neue Ufer. Diese Geschichten sind es, die unsere Arbeit so erfüllend machen. Eine Workshop-Teilnehmerin erzählte uns kürzlich, wie sie als Verfolgte aus ihrem Land geflüchtet ist und nur durch einen Zufall in Deutschland einen Studienplatz und ein DAAD-Stipendium bekam. Ein anderer Kandidat hatte gerade seinen Doktor gemacht, will aber wegen der miserablen Arbeitsmarktlage in seinem Tätigkeitsfeld nicht zurück in sein Heimatland. Er bleibt lieber in Deutschland und arbeitet in einem (gänzlich) anderen Bereich, um seine Familie zu unterstützen, die er sehr vermisst. Viele haben mit Visaangelegenheiten oder der Diskriminierung durch die Ausländerbehörden zu kämpfen – und manche wollen wiederum einfach nur wegen des kalten Wetters wieder zurück.

Was bleibt ist ein sehr diverses Bild von Motiven, Motivationen und Biographien, die wiederum nicht in eine einfache “entweder du bist drin oder draußen”-, “entweder gehörst du hierher oder dorthin”-Logik passen wollen. Dennoch, so scheint es, bleibt die eigene Nationalität – Juristen sprechen von Staatsangehörigkeit – ein Faktor, wenn nicht sogar der wichtigste globale Faktor, der über Erfolg, Wohlstand, Zugang, Chancen, Möglichkeiten, Zugehörigkeit, Glück, und ja, wahrscheinlich auch Leben, entscheidet. Dein Reisepass, ein Dokument, ausgestellt aufgrund einer Gegebenheit, auf die du nicht im Geringsten Einfluss nehmen konntest – manchmal ist er alles, was zählt.

“Gebildete Afrikaner sollten zurückkehren in ihre Länder” – “Nein, wir brauchen mehr Zuwanderung von außerhalb Europas.”

Wir konnten die Debatte auf einer Konferenz von Brot für die Welt in Berlin kürzlich noch einmal als Gruppenleiter vertiefen. Es ging um die Internationalisierung deutscher Hochschulen und die damit verbundenen Ansprüche, Realitäten und Perspektiven. Besonders fiel uns die kritische Haltung der Studierenden und Alumni aus dem globalen Süden, darunter auch Stipendiat*innen von Brot für die Welt auf, die hier der Erwähnung bedarf. Ihre gemeinsame Erklärung, ihre “Joint Declaration of Students from the Global South on Education for Sustainable Development” ist ein postnationales Dokument des Aufrufs. Es geht um die Anerkennung als Leistungsträger zu internationaler Verständigung, wirtschaftlichem Austausch, die Reduzierung des Fachkräftemangels, ihren Beitrag zu mehr Diversity und Innovation. Sie fordern globalen Zugang zu Bildung, mehr Unterstützung bei der Integration oder Reintegration, mehr Transparenz bei beruflichen Perspektiven in Deutschland oder im Heimatland.

Die Keynote hielt Alumna und ehemalige wissenschaftliche Mitarbeiterin der BIGSAS (Bayreuth International Graduate School of African Studies), Dr. Délia Nicoué. Sie bezog in dem Zusammenhang eindeutig Stellung, sprach von neokolonialen Elementen in der internationalen Ausbildungspolitik durch die Manifestierung bestehender Machtstrukturen. Entsprechend sei die Ausdehnung des Zugangs zu Bildung mehr als nur Mittel zum Zweck. So wurde den Teilnehmern während der Konferenz nach und nach klar, welche Widersprüchlichkeiten innerhalb der Bundesregierung zu dem Thema Migration existieren. Das Bundesentwicklungsministerium glaubt, dass gut ausgebildete Afrikaner in ihre Heimatländer zurückkehren sollten, um dort die Entwicklung voranzutreiben. Das Wirtschaftsministerium wiederum rückt die Notwendigkeit der Lösung des Fachkräfteproblems in den Mittelpunkt, weil die deutsche Gesellschaft altert. Dennoch zeichnet das Portal “Make it in Germany” kein realistisches Bild von den Erwartungen an Neuankömmlinge, insbesondere in Bezug auf die erforderlichen Deutschkenntnisse. Und dann gibt es da natürlich noch das Innenministerium mit seinen ganz eigenen Vorstellungen und Logiken.

So gerechtfertigt, richtig und ehrenwert es war, dass die Mehrheit der Deutschen und die deutsche Bundesregierung Flüchtlinge willkommen hießen – die deutsche Gesellschaft hat sich selbst nach all den Jahrzehnten der Zuwanderung noch nicht eingestehen können, auch wirklich eine Einwanderungsgesellschaft zu sein. Dieser Mangel an Identität als Einwanderungsland stellt im Kern das Hauptproblem dar. Und es wurde von der Politik über Jahrzehnte durch Ignoranz befördert.

Für die Studenten bedurfte es nicht lange, um dieses Paradox zu erkennen. Sie waren sich einig darin, dass, wer beide Optionen befürworte, auch beide konsequent ergreifen können müsste. Warum also diejenigen, die zurückkehren, nicht über Programme auch besser mit Jobs oder beruflichen Perspektiven versorgen? Warum diejenigen, die bleiben wollen, nicht besser integrieren? Es zeigt, dass es niemals einen Plan für mehr Investitionen (in Arbeit) in Afrika gab, oder progressive und klare Einwanderungsgesetze. Es drängt sich der Verdacht auf, dass bei diesem Thema Programme, Politik und Gesetzgebung nicht synchron mit der Realität sind. Wie gesagt, wir sahen uns nie als politisches Unternehmen. Aber manche Konstruktionsfehler sind einfach zu offensichtlich, um sie zu ignorieren.

Von Jörg Kleis

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